Individuelle Lernzeit in der Mittelstufe
Seit der Einführung des G8 in Bayern hat sich gezeigt, dass die Mittelstufe das Kernproblem des Gymnasiums ist, da sich in den Jahrgangsstufen 8 bis 10 die Verknappung der Lernzeit und die für die Heranwachsenden typischen Probleme der Pubertät überlagern. Um hier entgegenzuwirken, läuft seit dem Schuljahr 2015/16 an knapp 50 Schulen in Bayern der Schulversuch Mittelstufe Plus, der den Schülerinnen und Schülern, die sich dafür melden, ein Jahr mehr Lernzeit in der Mittelstufe bei weniger Nachmittagsunterricht ermöglicht. Wie die Erfahrung, zum Beispiel am Gymnasium Oberstdorf, zeigt, ist das Interesse, daran teilzunehmen, sehr hoch. Der Schulversuch soll nun ausgewertet werden, eine Entscheidung für die weitere Entwicklung der gymnasialen Lernzeit soll dann im Laufe des kommenden Schuljahres fallen.
Das Gymnasium Sonthofen hat sich nicht für die probeweise Einführung der Mittelstufe Plus entschieden. Dagegen versuchen wir seit drei Jahren, mit den anderen Instrumenten zu arbeiten, die über die Schulordnung zur Überbrückung der Lernschwierigkeiten in der Mittelstufe zur Verfügung stehen: Flexibilisierungsjahr und Individuelle Lernzeit.
So haben sich im nun zu Ende gehenden Schuljahr insgesamt 5 Schülerinnen und Schüler für ein Flexibilisierungsjahr entschieden, das bedeutet, dass sie jeweils 2 Schuljahre für entweder die achte oder die neunte Jahrgangsstufe in Anspruch nehmen können. Die Erfahrungen mit diesem sehr individuell gestaltbaren, aber organisatorisch aufwändigen Projekt sind bisher im Großen und Ganzen zufriedenstellend.
In weit größerem Umfang haben Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe des Gymnasiums Sonthofen das Angebot der Individuellen Lernzeit in Anspruch genommen, für das wir mit neun zusätzlichen Lehrerstunden ausgestattet sind. Nach einem Elternabend am Ende des Schuljahres 2014/15, bei dem wir über die Möglichkeit zur Individuellen Lernzeit informierten, ging das Angebot zur Teilnahme an der Individuellen Lernzeit im Schuljahr 2015/16 an insgesamt 58 Schülerinnen und Schüler der 8. bis 10. Jahrgangsstufe. Voraussetzung zur Teilnahme ist die Anmeldung durch die Eltern und ein Motivationsschreiben, in dem der Schüler seine Beweggründe für die Teilnahme an der Fördermaßnahme erklärt. Ziel der Individuellen Lernzeit ist es eben, die Schülerinnen und Schüler selbst zum besseren Lernen zu motivieren und ihnen dabei zu helfen, ihre Defizite möglichst selbständig zu bearbeiten. Idealerweise sollte eine überschaubare Phase von maximal einem Jahr dazu reichen, die Teilnehmer nachhaltig zu erfolgreicherem Lernen anzuleiten. Das kann allerdings nur funktionieren, wenn die teilnehmenden Schüler selbst die Notwendigkeit zur Mitarbeit erkennen und dies als Chance auf ihrem Weg zum Abitur begreifen.
34 der 58 Schülerinnen und Schüler, die die Einladung zur Individuellen Lernzeit erhielten, meldeten sich an, 24 lehnten die Teilnahme ab. Bei 13 der angemeldeten Schüler konnte die Maßnahme zum Halbjahr beendet werden, weil sich zu diesem Zeitpunkt ihre Leistungen bereits erkennbar stabilisiert hatten. Dadurch eröffneten sich weitere Möglichkeiten für Schüler, die erst im Laufe des Schuljahres von absinkenden Leistungen betroffen waren. 2 Schülerinnen oder Schüler meldeten sich im Laufe des Schuljahres wieder ab, bei 2 Schülern musste die Lernzeit wegen mangelnder Mitarbeitsbereitschaft beendet werden. Insgesamt bestätigt die Leistungsentwicklung der 34 Schüler, die sich auf die Individuelle Lernzeit eingelassen haben, die Sinnhaftigkeit dieser Förderung: nur knapp 30 Prozent dieser Gruppe waren nach dem dritten Notenbericht noch gefährdet, wohingegen 50 Prozent derjenigen, die sich nicht angemeldet hatten oder wieder ausgeschieden sind, das Schuljahr Ende April noch nicht sicher bestanden hatten.
Vielleicht können diese Zahlen ein Ansporn sein, die Einladung zur Individuellen Lernzeit im kommenden Schuljahr ernst zu nehmen und nicht leichtfertig auf das Angebot zu verzichten, das sich an die Altersgruppe wendet, die am meisten mit den negativen Begleiterscheinungen des achtjährigen Gymnasiums zu kämpfen hat.
Winfried Engeser, Pädagogischer Betreuer der Mittelstufe